Sprachbildung geht anders

In unseren Kindergärten und Horten werden mehr als 100 verschiedene Sprachen gesprochen. Seit mehr als sechs Jahren setzen wir Erkenntnisse der Sprachforschung zum Thema Mehrsprachigkeit in Pilotprojekten um. Unsere Sprachexpertin Karin Steiner, die fachliche Leiterin dieser INTERREG Sprachenprojekte weiß wovon sie spricht, wenn sie sich kopfschüttelnd fragt, wieso sich unsere Gesellschaft und Politik gegen die Umsetzung solcher gut erforschten und in der Praxis getesteten sprachsensiblen Modelle wehrt.  

Denn sprachliche Bildung kann unter den derzeitigen Rahmenbedingungen und mit den derzeit angewandten Konzepten in Schule und Kindergarten kaum qualitative, lernerfolgsverändernde Effekte erzielen.

Der Grund ist, dass Sprachförderung, die sich nur auf das Erlernen von Deutsch als Zweitsprache konzentriert, nicht fruchten kann. Denn beim Spracherwerb müssen viele Faktoren zusammenspielen: Nicht nur das kognitive Lernen, sondern auch Aspekte wie Lernmotivation und ein positives Selbstkonzept, sich wohlzufühlen, stolz auf eigene Erkenntnisse, Vertrauen zu den Wissensvermittelnden Personen zu haben, sind dabei wichtig. zu Daher verläuft der Spracherwerb bei Kindern höchst unterschiedlich.  

Ein Beispiel soll das veranschaulichen:

Eine Gruppe aus vier- bis sechsjährigen Kindern verschiedener Erstsprachen wird im Kindergarten eingeladen, ein einfaches Wasserexperiment durchzuführen. Die Pädagogin zeigt das Experiment und erklärt es dabei in Deutsch. Dann stellt sie Kindern Fragen zu dem Gesehenen und bittet danach die Kinder, es selbst durchzuführen und dabei in Deutsch zu erklären, was sie tun. Die Kinder antworten wenig und sprechen kaum.

Ein anderes Mal bittet die Pädagogin einige Kinder gleicher Erstsprache, das Experiment gemeinsam durchzuführen. Sie können dabei in ihrer Erstsprache sprechen. Sobald sie damit beginnen, hebt ein lebhafter sprachlicher Austausch an und die Kinder unterhalten sich angeregt darüber was sie tun. Einige Kinder haben anderen bestimmte Dinge erklärt und alle waren stolz auf das gemeinsam erzielte Ergebnis und haben darauf gebrannt, es den anderen Kindern in der gemeinsamen Erklärsprache Deutsch zu erklären. Dadurch wird klar, dass die Kinder das Experiment kognitiv erfasst haben. Das heißt, sie haben einen neuen physikalischen Inhalt erlernt, sie hatten durch selbstforschendes Lernen ein persönliches Erfolgserlebnis und haben in ihrer Erstsprache und der Bildungssprache Deutsch ihren Wortschatz erweitert.

Um diese Form der Sprachförderung in Kindergarten und Schulen umsetzen zu können, braucht es neben den passenden Rahmenbedingungen auch die entsprechende Qualifizierung und Fachbegleitung der Pädagog*innen.

 

Sprachförderlehrgang und Fachbegleitung

Mit ihrem Team hat Karin Steiner für unsere Elementarpädagog*innen einen entsprechenden Fortbildungslehrgang entwickelt, der im Dezember 2021 vom Bildungsministerium anerkannt wurde. Er vermittelt linguistisches Wissen ebenso wie Wissen um die didaktische Umsetzung in der Praxis. Bei der Anwendung dieses neu erworbenen Wissens werden die Pädagog*innen durch eine Fachberaterin für Mehrsprachigkeit noch zwei Jahre begleitet und gecoacht. So werden die wissenschaftlichen Inhalte in der Praxis gefestigt, reflektiert und dann gemeinsam weiterentwickelt. Erst dann können sich die ersten Effekte beim Kind zeigen.

 

Masterplan der Politik

Dies belegt, dass die Ursache für die derzeit allseits diskutierten mangelnden Effekte nicht bei den Pädagog*innen oder Eltern und schon gar nicht bei den Kindern zu suchen sind, sondern in einem veralteten sprachpolitischen und sprachdidaktischen Bildungs-Konzept, welches dringend Reformen – insbesondere in der Qualifizierung der Pädagog*innen bedarf.

Dies braucht Mittel für die Träger der Bildungseinrichtungen, einen Masterplan der Politik im Bereich von langfristigen und neuen Modellen strukturierter Fort- und Weiterbildung  und letztendlich auch bessere Rahmenbedingungen für die Elementar- und Schulbildung, die es  Pädagog*innen ermöglichen, sich stets weiterzubilden und in fachlichen Austausch treten zu können. Dies sollte auch bei zukünftigen §15a-Verhandlungen berücksichtigt werden.

Last but not least sei nochmals auch hier zu betonen, dass mehrsprachige Kinder deshalb in unserem Bildungssystem scheitern, weil dieses noch immer nicht einer Pädagogik des 21. Jahrhunderts entspricht, welche die Mehrsprachigkeit der Gesellschaft als das Potenzial erkennt, das es ist – die Antwort auf ein friedliches gesellschaftliches Zusammenleben und einem besseren Verständnis untereinander.