Kindergartenmitarbeiter*innen gehen in die Offensive

Veröffentlicht am: 21.09.2021

Kinder spielen mit Pädagogen
© Felix Zangerl

Am 12. Oktober 2021 findet eine Betriebsversammlung und Kundgebung von Gewerkschaft und Betriebsrat der privaten Kindergartenträgerorganisationen in Wien statt.

 Die Betriebsversammlung wurde von Gewerkschaften und Betriebsrät*innen am 12. Oktober 2021 von 06:00 Uhr bis 12:30 Uhr angesetzt. Während dieser Zeit bleiben private Kindergärten und Horte in Wien mit Ausnahme von Betriebskindergärten geschlossen. Die Eltern erhalten am 21. September 2021 entsprechende Informationen, in denen auch darauf hingewiesen wird, dass die nicht verfügbare Betreuungseinrichtung als Dienstverhinderung laut §8 AngG gilt.

Seit Jahrzehnten appellieren die privaten Kindergartenträger*innen Diakonie Bildung, Kinderfreunde Wien, KIWI-Kinder in Wien und die St. Nikolausstiftung, die Gewerkschaft und die Berufsvertretung der Elementarpädagog*innen, dass die Rahmenbedingungen für die Arbeit im Kindergarten und Hort dringend verbessert werden müssen.

Pädagog*innenmangel in ganz Österreich

Nun ist er in ganz Österreich angekommen, der Pädagog*innenmangel: In Salzburg und Oberösterreich werden die ersten Gruppen geschlossen, in der Steiermark gibt es einen Crashkurs für die Ausbildung zur Pädagog*in im Ausmaß von 30 Wochenstunden(!) und in Wien werden Pädagog*innen mit Nachsicht eingestellt, damit der Betrieb aufrechterhalten werden kann. Die Pandemie verschärfte die Situation entscheidend, es gab kaum Schutzmaßnahmen für die Mitarbeiter*innen und die Verordnung seitens der Bundesregierung zum Schutz aller kleine Gruppen zu führen, ist mit einem Pädagog*innen- und Raummangel nicht möglich.

Unzureichende Rahmenbedingungen

Der eindringliche Appell, die Rahmenbedingungen in der ersten Bildungseinrichtung Kindergarten anzupassen, wurde politisch über Jahre ignoriert. 2009 wurde der „Bundesländerübergreifende BildungsRahmenPlan für elementare Bildungseinrichtungen in Österreich“ eingeführt. Ein wichtiger und längst notwendiger Schritt in der Qualitätsentwicklung im Bereich der frühkindlichen Bildung. Nur wurde vergessen, dass für eine qualitätsvolle Umsetzung vor Ort im Kindergarten auch die Rahmenbedingungen korrelieren müssen. Kinder in ihrer individuellen Entwicklung zu begleiten, zu fördern, ihre Entwicklungsschritte zu dokumentieren und den Bildungsalltag zu planen, ist mit dem aktuellen Personalschlüssel nicht möglich. Die Vorbereitungszeit von 5 Stunden im Rahmen einer Vollzeitanstellung ist eine Zusatzleistung der privaten Träger, da sie in Wien gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Zum Vergleich: In der Volksschule ist eine Pädagog*in Vollzeit mit max. 24 Stunden im Kinderdienst, der Rest dient zur Vorbereitung.

Kindergarten: Spielball zwischen Bund und Ländern

„Eine Gesellschaft offenbart sich nirgendwo deutlicher als in der Art und Weise, wie sie mit ihren Kindern umgeht.“ So das Zitat von Nelson Mandela im Vorwort des bundesländerübergreifenden BildungsRahmenPlans. Allen Kindern eine gute und chancengerechte Bildungslaufbahn zu ermöglichen, klingt in der Theorie gut, kann aber in der Praxis nicht gelebt werden. Der Bund ist für die Ausbildung der Elementarpädagog*innen zuständig. Seit vielen Jahren weisen wir darauf hin, dass diese Ausbildung grundlegend verändert werden muss, da die Berufsentscheidung mit 14 Jahren viel zu früh ansetzt. Tatsächlich steigt nur ein kleiner Teil der BAfEP-Absolvent*innen in den Beruf ein, viele werfen wegen der Rahmenbedingungen bald das Handtuch.

Auch der Fleckerlteppich an gänzlich unterschiedlichen Rahmenbedingungen erschwert die Durchsetzung von qualitätsvollen Arbeitsbedingungen enorm. Gruppengröße, Gehalt, Öffnungszeiten, Urlaub, Vorbereitungszeit, Fördergeld usw. sind in jedem Bundesland individuell geregelt. Alle diese Faktoren, die zu unterschiedlichen und unzureichenden Rahmenbedingungen führen, sind u.a. für den Pädagog*innenmangel verantwortlich. Im Endeffekt sind die Kinder die Leidtragenden, auch ihnen gegenüber fehlt jede Wertschätzung der politisch Verantwortlichen.

Unsere Forderungen: #kindergartenbraucht

  • Alle politisch Verantwortlichen in Ländern und Bund sind jetzt dazu aufgefordert, gemeinsam und langfristig ein Budget für die Elementarpädagogik über Legislaturperioden hinweg zu fixieren, das die Verbesserung der Rahmenbedingungen in Kindergärten und Horten ermöglicht. Konkret bedeutet das, statt bisher 0,64% sofort mindestens 1% vom BIP für elementare Bildung zur Verfügung zu stellen.
  • Eine qualitätsvolle und rasche Ausbildungsoffensive für Elementarpädagog*innen muss sofort gestartet werden.
  • Zudem ist ein Stufenplan für die Reduzierung der Gruppengröße auszuarbeiten, damit diese in spätestens fünf Jahren der wissenschaftlich empfohlenen Fachkraft-Kind-Relation entspricht – und dies österreichweit einheitlich. Qualitätsvolle Arbeit, die dem BildungsRahmenPlan entspricht, würde etwa einen Fachkraft-Kind-Schlüssel von 1:7 in der Altersgruppe der 3-6 Jährigen benötigen.[1] Dass im Kindergarten dennoch so hochwertige Bildungsarbeit geleistet wird, erfordert höchstes Engagement.
  • Die Länder und Gemeinden sind auch aufgefordert, öffentliche und private Betreiber*innen finanziell gleichzustellen. Denn jedes Kind und jede Mitarbeiter*in sind gleich viel wert.

Betriebsversammlung: 12. Oktober 2021, 06:00 – 12:30 Uhr

Trotz alledem begleiten und fördern die Mitarbeiter*innen in den Kindergärten und Horten alle Kinder mit großem Engagement und hoher Kompetenz. Sie waren auch während der Lockdowns stets für die Kinder und Eltern da. Die privaten Wiener Trägerorganisationen Diakonie Bildung, Kinderfreunde Wien, KIWI-Kinder in Wien und St. Nikolausstiftung, die seit letztem Jahr bildungspolitische Forderungen gemeinsam im Netzwerk „Träger*inneninitiative Elementare Bildung Wien“ vertreten, ersuchen nun alle Eltern, die Kindergarten- und Hort-Mitarbeiter*innen bei ihrem Appell zu unterstützen.

 

[1] Folgende Empfehlungen der Fachkraft-Kind-Relation und der Gruppengröße ist aktuell in pädagogischer Fachliteratur zu finden: In Gruppen mit vorwiegend jungen Kindern bis zum 3. Lebensjahr wird der Schlüssel von 1:3 bis maximal 1:6 empfohlen, die Gruppengröße sollte 6 bis max. 12 Kinder betragen, für 2- bis 3-Jährige max. 14 Kinder. Für Kindergartengruppen 3- bis 6-Jährige wird je nach Altersverteilung ein Schlüssel von 1:5 bis max. 1:10 empfohlen. Optimal sind in dieser Altersspanne in etwa 7 Kinder pro Fachkraft und die Gruppengröße zwischen 14 und max. 20 Kindern pro Gruppe gilt als guter Standard – optimal ist die Gruppengröße von 15 Kindern. Altersübergreifende Gruppen von 1- bis 6-Jährigen sollten max. 15 Kinder – davon höchstens fünf Kinder unter drei Jahren umfassen (Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung: wissenschaftliche Parameter zur Bestimmung der pädagogischen Fachkraft-Kind-Relation, Viernickel & Schwarz, 2009)