Linz, 11. September 2025 – Nein, es ist kein dringend benötigter Schulstartbonus, keine gezielte Förderung für Familien und keine überfällige Bildungsmaßnahme. Stattdessen gibt es ein Gesetz, das wohl erneut vor dem Verfassungsgerichtshof landet und voraussichtlich scheitern wird. Ein Kopftuchverbot für Mädchen bis 14 Jahre schafft Chancenungleichheit, diskriminiert und erschwert Familien den Zugang zum Bildungssystem.
Kinder bei Entscheidungen, die sie betreffen, mitsprechen, befragen und mitbestimmen zu lassen, ist eine zentrale Forderung von Kinderschutz-Expert: innen. Kinderrechte sichern ihnen unter anderem das Recht auf freie Meinungsäußerung, Beteiligung, Bildung, Gleichheit und Schutz vor Diskriminierung zu. Der aktuelle Gesetzesvorschlag von ÖVP, SPÖ und NEOS ignoriert diese Grundsätze, entbehrt jeder kinderschutzfachlichen Grundlage und führt den Begriff „Kinderkopftuch“ als politisch aufgeladenen Kampfbegriff in die Diskussion ein.
Ein Ministerium hat weder die Deutungshoheit noch die Kompetenz, über die Ausübung von Religion zu bestimmen. Die Religionsfreiheit ist Teil der verfassungsrechtlich garantierten Persönlichkeitsrechte und somit ein Grundrecht. Wenn ein Ministerium festlegt, das Kopftuch stehe „per se“ für Unterdrückung, überschreitet es nicht nur seine Zuständigkeit, sondern schreibt Mädchen auch eine Identität von außen zu.
„Anders als eine politisch motivierte, populistische Maßnahme auf dem Rücken einer marginalen Gruppe von Mädchen kann das Kopftuchverbot nicht gesehen werden“, sagt Kristina Botka, Pädagogin, Politikwissenschaftlerin, Kinderschutzexpertin und Vorstandsmitglied der OÖ Kinderfreunde. „Wenn wir davon sprechen, was für Kinder derzeit am dringendsten zu thematisieren wäre, geht es um Kinderarmut, den Bedarf einer Kindergrundsicherung, die Sorgen von Kindern angesichts aktueller Krisenherde der Welt oder auch um Themen wie Schuldruck und Klimakrise. Das Verbot eines Stücks Stoffes als Ausdruck vermeintlicher Zwangsbefreiung entbehrt jeglicher Expertise im Bereich Kinderschutz“, ergänzt Botka.
Vielmehr müssen die Äußerungen von Ministerin Plakolm als das erkannt werden, was sie sind: eine von Regierungsseite diktierte, weitere Diskriminierungsmaßnahme. Statt Mädchen – unabhängig von kultureller, religiöser oder sozioökonomischer Herkunft – zu involvieren, anzuhören, einzubinden, zu ermächtigen und zur vielfältigen Teilhabe am Bildungssystem zu ermutigen, passiert genau das Gegenteil. Die Regierung inszeniert sich als „Befreierin“ muslimischer Mädchen – ein klassisches Beispiel für White Saviorism. Doch echte Solidarität heißt nicht, Kindern vorzuschreiben, wie sie auszusehen haben. Solidarität bedeutet, zuzuhören, zu begleiten und gezielt dort zu helfen, wo Kinder unter Druck stehen. Pauschale Strafen helfen niemandem.
Schule soll ein Ort des Lernens, der Vielfalt und der Emanzipation sein. Nun sollen jedoch Lehrkräfte – die Kinder als Vertrauenspersonen an ihrer Seite wissen müssen – dazu herangezogen werden, ihre Schützlinge an den Pranger bzw. vor den Gesetzgeber zu stellen. Junge Menschen, denen zugeschrieben wird, dass sie von Diskriminierung betroffen sind, werden also gerade deshalb diskriminiert und bestraft. Verbote und Strafen als Erziehungsmaßnahme gegen vermutete Erziehungsmethoden der Eltern einzusetzen? „Das ist absurd. Wir müssen Kinder involvieren, sie in die Mitte der Gesellschaft holen und einbinden – und zwar ganz besonders dann, wenn wir uns Sorgen um sie machen!“, resümiert Botka.
Die Kinderfreunde gehen noch weiter: „Kindern soll es erlaubt sein, sich auszuprobieren, sich wie ihre Idole zu kleiden und ihre eigene Identität zu finden.“ Mögliche Herausforderungen in der Familie dürfen selbstverständlich nicht relativiert werden. Zwang mit Zwang zu beantworten, ist jedoch keine Lösung. Ob Kinder zum Tragen eines Kopftuchs gedrängt oder durch ein Gesetz zum Ablegen gezwungen werden – beides verletzt ihre Rechte. Pädagogische Praxis heißt: hinschauen, ins Gespräch gehen, schützen, empowern und gezielt unterstützen.
Wir Kinderfreunde stehen seit über 100 Jahren für Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Vielfalt und Frieden. Die Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen als politischen Spielball zu verwenden, widerspricht all diesen Werten.
Kinder müssen in ihrer Entwicklung gestärkt, nicht stigmatisiert werden.
Eltern brauchen Unterstützung, nicht Symbolpolitik.
Schulen brauchen Ressourcen für Bildung, nicht Gesetze zur Ausgrenzung.
Wir fordern: Schluss mit populistischen Ablenkungsmanövern. Stärkung der Kinderrechte, Bekämpfung von Kinderarmut und echte Unterstützung für Familien – für alle Kinder.
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