Gleichheit

Ohne Unterschied macht Gleichheit keinen Spaß.

Dieter Hildebrandt

Was ist Gleichheit?

Auf den ersten Blick sind Gleichheit und Vielfalt ein Widerspruch. Das ist aber nicht so. Unterschiede zwischen Menschen gibt es, egal, ob wir das wollen oder nicht. Unsere Gesellschaft besteht aus Unterschieden, so wie sie aus einzelnen Menschen besteht: es gibt keine zwei gleichen. Es ist also nicht möglich, sich gegen Vielfalt zu entscheiden. Sehr wohl kann es aber unser Ziel sein (und ist es auch), Gleichheit zu fördern. Damit meinen wir nicht, dass Menschen gleich gemacht werden sollen. Was wir wollen ist, dass unterschiedlichen Menschen Gleiches ermöglicht wird. Jeder Mensch ist anders - aber jede*r hat das gleiche Recht auf ein erfülltes, selbstbestimmtes Leben, auf Bildung und darauf, Träume und Ziele zu verwirklichen.  Damit das möglich ist, braucht jede oder jeder Einzelne eine andere Unterstützung. Wer Gleiches ermöglichen will, muss also Unterschiede respektieren und ernst nehmen. Ein gutes Beispiel dafür sind Geschlechterunterschiede. Nie würde uns einfallen, Burschen als wertvoller zu betrachten als Mädchen oder umgekehrt - da gibt es bei allen Unterschiedlichkeiten definitiv kein besser oder schlechter. Trotzdem ist klar, dass manchmal für Burschen und Mädchen unterschiedliche pädagogische Zugänge sinnvoll sind. Das Gleiche gilt natürlich im Erwachsenenleben. Unser Einsatz für die absolute Gleichstellung zwischen Männern und Frauen ist ja keine Frage des Alters.  Und wieder ist klar, dass die Unterschiedlichkeiten respektiert und mitbedacht werden müssen. Bloße Vielfalt würde bedeuten, Frauen in Führungspositionen zu akzeptieren – in Kombination mit einem Gleichheitsansatz bedeutet es auch, Rahmenbedingungen zu schaffen, um mehr Frauen dorthin zu bringen, um genau das Gleiche zu ermöglichen, was Männern auch ermöglicht wird. Alle anders - alle gleich - Dieser Ansatz ist natürlich auf alle Lebensbereiche anzuwenden. So stellen wir uns eine Schule vor, die nicht Neunjährige in eine von zwei Schubladen steckt, sondern die allen Kindern gleiche Förderung zu Gute kommen lässt - und zwar individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Wir wissen, es gibt viele unterschiedliche Familienformen. Das wollen wir gar nicht ändern - was aber gleich sein muss, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen und öffentlichen Unterstützungen für alle Familien, egal ob Vater-Mutter-Kind, Alleinerziehende, Patchwork- oder Regenbogenfamilien. Es ist nicht genug, dass Angebote theoretisch für Menschen mit Migrationshintergrund offen sind, es braucht Anstrengungen, um sie speziell für sie zu öffnen. Die Beispiele ließen sich noch länger fortführen, anhand des Grundsatzes der „vielfaltsbasierten Gleichheit“ kann man ein relativ klares Bild einer besseren Welt für Kinder zeichnen.

 

Wie ist eine Welt der Gleichheit?

Wir Kinderfreunde treten für eine Welt ein, in der…

…die pädagogischen Angebote für Burschen und Mädchen sich nicht auf die Aufteilung zwischen Prinzessinnen und Helden konzentrieren, sondern auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder eingeht, ohne stereotype Rollenbilder zu transportieren.

…Kinderrechte auch in der Praxis weltweit durchgesetzt werden können. Während Kinderrechte zumindest theoretisch unteilbar sind und für alle Kinder gelten, sind in der globalen Perspektive doch enorme Unterschiede spürbar. Doch auch in Österreich gelten viele Kinderrechte für Flüchtlingskinder nicht – das widerspricht unserem Verständnis von Gleichheit vor dem Gesetz.

…gesellschaftliche Leistung unabhängig von der sozialen Stellung anerkannt wird. Unsere Gesellschaft braucht Kindergartenpädagog*innen mindestens genauso sehr wie Manager*innen - wie ist es zu rechtfertigen, dass die einen das Zwanzigfache verdienen?

…auf dem Arbeitsmarkt keine Lohnunterschiede zwischen Mann und Frau bestehen. Frauen werden in ihren speziellen Bedürfnissen so gefördert, dass sie die über Jahrhunderte aufgebauten Nachteile überwinden können.

...alle Kinder in einer gemeinsamen Schule individuell gefördert werden. Nicht das Geldbörsel oder der Bildungsstand der Eltern ist relevant für den schulischen Erfolg, sondern die Interessen, Talente und Leidenschaften jedes Kindes.

...kulturelle Vielfalt als Schatz gesehen wird anstatt als Bedrohung. Jeder Mensch bringt unterschiedliche Lebenserfahrungen, Traditionen, Sprachkenntnisse mit - und unsere Gesellschaft greift diese als Bereicherung auf und ermöglicht allen Menschen die gleichen Teilhabemöglichkeiten, unabhängig von deren Herkunft.

…niemand aufgrund seiner*ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert wird. Gerade im Familienbereich gibt es hier Nachholbedarf: Zum Beispiel müssen homosexuelle Paare rechtlich völlig gleichgestellt sein. Das beinhaltet uneingeschränktes Adoptionsrecht, Eheschließung, Aufnahme von Pflegekindern und so weiter und so fort.

 

Wie ist die Welt in der wir leben?

Dass die Welt in der wir leben keine Welt der gleichen Chancen ist, kann man gut an den unterschiedlichen Möglichkeiten zeigen, die Männer und Frauen am Arbeitsmarkt vorfinden. Der „Gender pay gap“ beträgt in Österreich mehr als 23 Prozent[1]. Das bedeutet, dass Frauen im Schnitt fast um ein Viertel (!) weniger verdienen als Männer. Das hat viele Gründe, einer davon ist jedenfalls, dass Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch immer zu großen Teilen von Frauen beantwortet werden müssen. Zwar steigt die Erwerbsquote von Frauen stetig an, jedoch handelt es sich dabei oft um Teilzeitarbeit. Während bei kinderlosen Erwachsenen der Unterschied im Erwerbsanteil noch sehr knapp ist (Männer 91%/Frauen 88%), so geht die Schere auseinander, sobald ein Kind unter 15 Jahren im Haushalt lebt (Männer 96%/Frauen 79%)[2] Die Teilzeitquote von Männern mit Kind liegt bei 5 Prozent, bei Frauen ist sie 14-mal so hoch (70 Prozent)[3]. Diese großen Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen führen zu einer massiven Steigerung des Armutsrisikos vor allem für Alleinerzieherinnen und Pensionistinnen.[4]

Der Grundstein für Bildungs- und Berufskarrieren von Männern und Frauen wird zu einem großen Teil bereits in der Kindheit gelegt: Dass zum Beispiel Mädchen weniger häufig in technische Berufe gehen als Burschen, ist kein Naturgesetz. Entscheidend ist hierbei vor allem die kulturelle Prägung. Während Burschen oft schon in jungen Jahren mit Werkzeug oder Chemiebaukasten spielen, bekommen Mädchen oftmals die Rolle der Lieblichen, Glitzernden und Häuslichen zugeschrieben. Natürlich: Jedes Kind, das gerne Prinz*Prinzessin oder Fee sein will, soll das gerne tun. Bei jeder pädagogischen Handlung muss man sich als Elternteil oder erzieherisch tätige Person aber die Frage stellen, wie viel eigene Lenkung dahinter steht. Ein Mädchen, das nur rosa Puppen kennt, wird sich keinen Chemiebaukasten wünschen. Die Entwicklung zu stereotypen Rollenbildern wird auch von der Medien- und insbesondere der Spielzeugindustrie befeuert: Ein Blick in Mädchenzeitschriften und in das an Mädchen gerichtete Kinderprogramm im Fernsehen genügt, um über die Herkunft des rosa Rollenbilds für Mädchen und junge Frauen Bescheid zu wissen.[5]

Man könnte an dieser Stelle auch die Geschichte von der himmelschreienden Ungerechtigkeit erzählen, die dazu führt, dass Kinder aus bildungsfernem Elternhaus oder mit Migrationserfahrung deutlich geringere Chancen haben, eine höhere Schule abzuschließen oder zu studieren - unabhängig von ihren individuellen Leistungen oder Interessen. Und die Geschichte von den unterschiedlichen Rechten von Regenbogen-, Patchwork- oder Alleinerziehenden-Familien gegenüber den “klassischen”. Und wenn wir über den Tellerrand hinausschauen und die Welt als Ganzes betrachten, dann wird noch deutlicher: Das sind Geschichten von einer Welt voller Ungleichheiten. Die wollen wir verändern.

 

Wir verändern die Welt!

Den Kinderfreunden und Roten Falken ist es ein Anliegen, Ungleichheiten auszugleichen und gleichzeitig individuelle Vielfalt zu fördern. Wir sehen uns seit vielen Jahren als Mitkämpfer*innen für die Gleichberechtigung von Frauen und die spezielle Förderung von Mädchen. Geschlechtssensible Pädagogik ist bei unseren Angeboten ein fester Bestandteil der Arbeit und wird sowohl implizit umgesetzt als auch explizit zum Thema gemacht. Genderarbeit findet bei uns schon im Kindergarten statt, wo Kinder oft schon früh mit transportierten Rollenbildern umgehen lernen. Auch auf unseren Camps werden die Rollenbilder hinterfragt und zum Thema gemacht.

Als der größte private Träger von Kinderbetreuungseinrichtungen tragen wir als Kinderfreunde auf einer gesellschaftspolitischen Ebene dazu bei, Beruf und Familie vereinbar zu machen. Wir sehen den Kindergarten als Bildungseinrichtung, aber gleichzeitig als Maßnahme zur besseren Vereinbarkeit. Wir fordern daher aber auch bundesweite Qualitätsrichtlinien, die es überall im Land ermöglichen, dass Frauen auch nach der Geburt ihres Kindes wieder einem Vollzeitberuf nachgehen. Wir sind außerdem Erfinder*innen des Vaterschutzmonats und große Verfechter*innen der Väterkarenz. Es ist uns ein Anliegen, dass Väter und Mütter sich partnerschaftlich und gleichberechtigt um die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder kümmern.

Wir Kinderfreunde waren in unserer Geschichte stets Vordenkerinnen und -denker einer Bildungspolitik, die allen Kindern gleiche Chancen ermöglicht. Bereits in den 1930er Jahren erhoben wir die Forderung nach einer gemeinsamen Schule für alle Kinder. Dass diese Forderung noch immer nicht umgesetzt wurde zeigt, wie sehr es eine Lobby braucht für eine Schule, die Kinder im Mittelpunkt hat und ohne Unterschiede fördert und fordert.

Ein gleichheitsbasierter Zugang zum Umgang mit Kindern bedeutet, sie als Subjekte auf Augenhöhe zu verstehen. Dieses Verständnis ist weitreichend. Es bedeutet nämlich, dass Kinder und Jugendliche bei uns nicht nur mitmachen, sondern auch mitreden dürfen. Sie sind Partner*innen in unserer Arbeit und Expert*innen für ihre Lebensbereiche. Diesen Zugang versuchen wir bei den Kinderfreunden und Roten Falken konsequent zu leben, auch wenn das oft nicht die bequemste Lösung ist und mit viel Arbeit verbunden ist. In der tagtäglichen Arbeit sehen wir jedoch, dass es sich lohnt, dass Kinder und Jugendliche, die mitreden dürfen und ernst genommen werden, in ihrem Selbstwert gestärkt werden und sich positiver entwickeln als Kinder, die ihr Leben lang wie Objekte oder Eigentum behandelt werden. Das ist jedoch nicht der einzige Effekt, denn auch wenn es viele nicht glauben: Die Meinung von Kindern und Jugendlichen ist gleich wertvoll wie jene von Erwachsenen und führt auch bei den Projekten, bei denen sie eingeholt wird, am Ende zu besseren Ergebnissen.

Wir Kinderfreunde und Roten Falken gehören außerdem zu den Pionier*innen der Kinderrechte-Bewegung in Österreich. Gleich nach dem Beschluss der UN-Konvention im Jahr 1989 forderten wir eine Umsetzung und Gesetzwerdung in Österreich. Seither ist viel passiert, aber noch nicht genug. Wir stehen für absolute Gleichheit aller Kinder vor dem Gesetz und fordern daher alle Kinderrechte für alle Kinder auf der ganzen Welt. Das Thema Kinderrechte wird auch explizit in der Arbeit mit den Kindern behandelt, weil es einer der Grundpfeiler des Rechtssystems ist, dass die einzelnen Subjekte über ihre Rechte Bescheid wissen. Wir zeigen Kindern, was ihre Rechte sind und helfen ihnen dabei, zu ihrem Recht zu kommen. Denn diese Konvention ist die Grundlage für annähernde Gleichheit an Würde und Rechten auf der ganzen Welt. Und das ist ein guter Start für die Welt, für die wir kämpfen.

Quellenangabe

[1] http://www.statistik.at/web_de/statistiken/soziales/gender-statistik/index.html

[2] http://www.statistik.at/web_de/statistiken/soziales/gender-statistik/vereinbarkeit_von_beruf_und_familie/index.html

[3] ebenda

[4] http://www.statistik.at/web_de/statistiken/soziales/gender-statistik/armutsgefaehrdung/index.html

[5] Informationen und Hintergrundwissen zum Thema gibt es bei der Initiative „pinkstinks“ – www.pinkstinks.de