Egal ob Eltern, Lehrer*innen oder anders pädagogisch Tätige – alle versuchen Kindern und Jugendlichen gewisse Werte auf ihren Weg mitzugeben. Dazu gehört zum Beispiel, anderen zu helfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Auf etwas zu verzichten, um es mit anderen teilen zu können. Nicht wegschauen, wenn jemand Hilfe braucht. Oder gemeinsam für die Schwächsten einzutreten. All das sind Verhaltensweisen, die man im Volksmund als „Anstand“ bezeichnen würde, gleichzeitig bezeichnen sie im Kleinen, was man im Großen solidarisches Handeln nennt. Während viele Eltern bei Kindern darauf achten, dass sie ein gewisses Maß an solchem Anstand zeigen, gilt dieser in der Welt der Erwachsenen nur noch sehr theoretisch. Wer anderen hilft, ist ein „Gutmensch“, wer teilt, lässt sich ausnützen und wer für die Schwächsten eintritt, ist naiv.
Wir leben in einer Welt, in der es im großen Rahmen unvorstellbar geworden ist, auf etwas zu verzichten, den eigenen Vorteil nicht vor das Wohl anderer zu stellen und nicht überall das Maximum herausholen zu wollen. Wir Kinderfreunde kennen es nur zu gut: Wenn wir fremden Leuten erzählen, dass wir unsere Freizeit, unseren Urlaub, unsere Energie viele Jahre dafür aufwenden, um ehrenamtlich mit Kindern zu arbeiten, ernten wir sehr oft nur Unverständnis. Etwas zu tun, ohne dafür materiell belohnt zu werden – das ist für viele Menschen nicht nachvollziehbar. Doch warum gilt das, was wir Kindern beibringen wollen, nicht für alle Erwachsenen? Warum ist es legitim, als Konzernchef*in gierig zu sein und dafür auch noch belohnt zu werden? Warum sind Apathie und Zynismus näher am Normalzustand der Gesellschaft als solidarische Akte wie Hilfsbereitschaft, Idealismus und Engagement? Wir Kinderfreunde wissen: Um die Welt zu verändern, muss man selber auch Schritte setzen, und die kann man nur mit anderen tun. Wer sich mit anderen und für andere einsetzt, merkt schnell, dass Solidarität vielleicht nicht reich, aber glücklich macht - und anderen hilft. Wer unsolidarisch ist, handelt egoistisch. Und wer egoistisch ist, darf sich vielleicht manchmal als “Sieger” fühlen, nur ist er oder sie in letzter Konsequenz einsam. Aber warum wissen wir Kinderfreunde das, während es so vielen anderen nicht bewusst ist?
Solidarität ist ein Schlüssel für das Verständnis der Frage, was uns als Kinderfreunde oder als fortschrittliche, sozialdemokratische Bewegung insgesamt ausmacht. Daher gilt es, diesen Wert zu kultivieren und nach außen zu tragen. Das tun wir tagtäglich, als Kinderfreund*innen, als Pädagog*innen, als Menschen.
Was ist Solidarität?
Solidarität ist sicher der mit Abstand am häufigsten verwendete Begriff im sozialdemokratischen Umfeld und wohl DER vereinende Wert unserer gesamten Bewegung. Doch was bedeutet es eigentlich genau, solidarisch zu sein? Reicht es schon, sich solidarisch zu erklären, indem man auf einen „Gefällt mir“-Button klickt oder Petitionen unterschreibt? Bei kaum einem anderen Wert ist der Weg von der theoretischen Willensbekundung zur aktiven Handlungsanleitung so weit wie bei der Solidarität, denn solidarisches Handeln widerspricht der Maxime der heutigen Zeit zu 100 Prozent. Es ist die Antwort auf die „Geiz ist geil“-Mentalität.
Kurz gesagt: Wir Kinderfreunde verstehen unter Solidarität, dass Menschen gemeinsam etwas schaffen, das allen etwas bringt. Es ist unmöglich, alleine solidarisch zu leben – Solidarität gibt es nur, wenn gemeinsam agiert wird. Wenn dieses gemeinsame Handeln nicht im Interesse eines*einer Einzelnen oder einer kleinen Gruppe geschieht, sondern das Wohl einer Gemeinschaft im Blick hat, ist Solidarität spürbar. Eine Solidarität, die mehr ist als Nächstenliebe. Es geht uns nicht darum, “Gutes zu tun” und dafür von einem höheren Wesen belohnt zu werden. Solidarität hilft konkreten Menschen, und der Zweck dieses Unterfangens ist es, dass es der Gesellschaft als Ganzes besser geht und nicht nur einem Teil. Gleichzeitig hat jede und jeder Einzelne etwas davon: Menschen sind glücklicher und zufriedener, wenn sie nicht als Ich-AG’s in einer Ellenbogengesellschaft, sondern in einer solidarischen Gesellschaft leben.
Wie ist eine Welt der Solidarität?
Wir Kinderfreunde treten für eine Welt ein, in der…
…Zusammenarbeit wichtiger ist als Konkurrenz. Wir sind uns zum Beispiel sicher, dass Schülerinnen und Schüler mehr lernen und von der Welt verstehen würden, wenn sie zusammenarbeiten dürften, statt ganz auf sich allein gestellt, stumm und ohne Blick zum*zur Nachbar*in. Eine Welt der Kooperation hätte zudem weniger Verlierer*innen als eine Welt des Wettbewerbs.
…über Ländergrenzen hinweg für die Schwächsten gekämpft wird. Soziale Probleme müssen in allen Winkeln dieser Welt gelöst werden und müssen uns gleich wichtig sein, egal ob sie nun vor unserer Haustür passieren oder am anderen Ende der Welt.
…der Einsatz ohne Gegenleistung nicht als seltsame Marotte angesehen wird. Es muss das normalste auf der Welt sein, gemeinsam für die Gemeinschaft einzutreten und auch Zeit und Energie in diese Arbeit zu investieren.
…ehrenamtliches Engagement entsprechend gefördert und geschätzt wird.
…unsolidarisches, anti-soziales und egoistisches Verhalten von der Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Das Gegenteil ist momentan der Fall: Wer besonders erfolgreich ist, bei dem ist es egal, wie er*sie es wurde. Der Zweck heiligt jetzt die Mittel, wir Kinderfreunde stehen für eine andere Welt.
...das Bekenntnis zu einem Staat als Solidargemeinschaft gelebt wird und sich in der Ausgestaltung eines starken und allen gleichermaßen zur Verfügung stehenden Sozialsystems äußert, das niemanden zurücklässt.
…Gemeinschaftserlebnisse für Kinder und Erwachsene auf der Tagesordnung stehen. Es ist die Grundlage für ein glückliches und erfülltes Leben, solidarisches Handeln zu erleben und Teil einer Gruppe zu sein.
Wie ist die Welt in der wir leben?
Die traurige Wahrheit ist: Die Welt wie sie ist, ist nicht von Solidarität geprägt. Die Art, wie Menschen auf diesem Planeten zusammenleben, basiert auf dem krassen Gegenteil. Das turbokapitalistische Weltwirtschaftssystem ist eines, das Verliererinnen und Verlierer braucht, um andere zu Siegerinnen und Siegern werden zu lassen. Der Profit, um den sich ja so vieles dreht, entsteht in aller Regel auf dem Rücken anderer. Und unsere Gesellschaft ist erstaunlich erfindungsreich dabei, die Augen vor dem Leid anderer zu verschließen, wenn es der eigene Vorteil will.
So ist es unsolidarisch, wenn die Europäische Union mit viel Aufwand ihren Wohlstand vor anderen schützt, auch wenn das ein aktives Wegschauen vor dem Leid von Flüchtlingen bedeutet. Allein im Jahr 2014 mussten über 2.500 Menschen an der EU-Außengrenze ertrinken.[1] Das Elend in ihrem eigenen Land war so groß, dass sie dieses Risiko in Kauf nahmen und sich auf untauglichen Booten über das Mittelmeer schleppen ließen. Eine solidarische Antwort auf hilfesuchende Flüchtlinge sieht anders aus als sie entweder im Mittelmeer ertrinken zu lassen oder – wenn sie diese Reise überstehen – im Stil der rechten Hetzer*innen unter den Generalverdacht der kriminellen Asylbetrüger*innen zu stellen.
Unsolidarisch sind Unternehmen, die ihre Profite dadurch erhöhen, dass sie alle Risiken, die sie haben, auf die Gemeinschaft abwälzen. Zum Beispiel Kraftwerkbetreiber*innen, deren Gewinne ins Unermessliche steigen, während die von ihnen verursachten Schäden an der Umwelt von uns allen getragen werden.
Auch unsere eigene „Geiz-ist-Geil“-Mentalität ist unsolidarisch, wenn wir auf der Suche nach einem Schnäppchen nicht darüber nachdenken, ob wir die so billige Hose auch wirklich brauchen und vor allem, dass der*die Arbeiter*in, der*die die Hose herstellt nur 0,6% vom Verkaufspreis dafür bekommt und dafür unter schrecklichen Bedingungen daran arbeiten muss.[2]
Eine Welt der Solidarität sieht anders aus. Eine Gesellschaft, die auf Solidarität beruht, hat das gemeinsame Wohl zur Maxime und nicht den individuellen Vorteil. Sehr viele Menschen leben in so einer solidarischen Gemeinschaft - in ihren Familien, oder unter ihren Freundinnen und Freunden. Niemand käme dort auf die Idee, andere zu schädigen, um selbst besser auszusteigen. Es ist ein weiter Weg dazu, das auf die ganze Welt umzulegen.
Wir verändern die Welt!
Eine Welt der Solidarität ist nicht von heute auf morgen zu erreichen, das ist in jedem Bereich so. Doch gerade deshalb ist es so wichtig, Solidarität jeden Tag auf ein Neues vorzuleben und zu vermitteln, was solidarisches Handeln ist. Wie schon erwähnt, wird Kindern ein solches Handeln als “Anstand” vermittelt, und auch unsere Familien funktionieren gut als Orte, an denen Solidarität in der Praxis erlebt werden kann. Wenn es jedoch um die Umsetzung von solidarischem Handeln auf die Gesellschaft und ihre Zusammenhänge geht, gibt es oft Übersetzungsschwierigkeiten. Die pädagogische Arbeit der Kinderfreunde und Roten Falken ist hier ein unschätzbares Gut, weil Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichsten sozialen und gesellschaftlichen Hintergründen solidarisches Handeln vorgelebt bekommen. Weil auch jene, die bisher von der Gesellschaft immer als Verlierer*innen zurückgelassen wurden erleben dürfen, dass es anders geht. Weil jene, für die immer nur das Gewinnen gezählt hat, lernen sich am Spiel mit anderen zu erfreuen, auch wenn es keine*n Sieger*in gibt. All das bieten wir als Kinderfreunde und Rote Falken tagtäglich in der pädagogischen Arbeit und pflanzen so die Samen für eine solidarische Gesellschaft von morgen. Als Kinderfreund*innen verstehen wir uns auch als Vorbilder und somit als Botschafter*innen der Solidarität. Werte wie dieser können nur durch eigenes Vorleben glaubhaft weitergegeben werden und das tun wir, indem wir als Mitarbeiter*innen selbst zu jeder Zeit solidarisch handeln.
Gleichzeitig sind wir als Organisation auch Akteur*in auf dem gesellschaftlichen Parkett und versuchen auch hier, solidarisch zu handeln: Vor allem dann, wenn die Schwächsten der Schwachen betroffen sind, versuchen wir als Kinderfreunde und Roten Falken vorbildlich zu handeln und Solidarität nicht nur auf die Fahnen zu schreiben, sondern auch in unseren Handlungen sichtbar zu machen. Spenden- und Hilfsaktionen für die ärmsten Regionen der Welt sind hier nur ein kleiner Teil unserer solidarischen Arbeit. Im Rahmen der internationalen Dachorganisation IFM-SEI arbeiten die Kinderfreunde und Roten Falken gemeinsam mit den Organisationen vor Ort zusammen, statt nur Almosen zu verteilen. Auf einer internationalen Ebene solidarisch zu agieren ist harte Arbeit, die Zeit, Energie und Geld kostet. Doch das Gegenteil von Solidarität sind Apathie, Zynismus und Einsamkeit – und das ist für uns keine Option.